«Wir standen mit dem Rücken zur Wand – oder besser gesagt zum Naturschutzgebiet.»

Markus Bircher ist Leiter Strategieprojekte bei Limeco. Das Limmattaler Energiezentrum LEZ ist für ihn ein Lebensprojekt. Seit zehn Jahren bestimmt es seinen Arbeitsalltag – und es wird ihn noch weitere zehn Jahre beschäftigen. Sein Erfolgsrezept: Kleine Schritte machen, alle an Bord holen und das grosse Ganze im Auge behalten.

«Es ist ein riesiges Privileg, ein Projekt in diesen Dimensionen aktiv mitzugestalten.»

«Ich bin definitiv kein Morgenmensch. Trotzdem bin ich um acht Uhr im Büro. Zuerst gibts einen Kaffee – möglichst klein, möglichst schwarz. Dann kann der Tag beginnen. Um produktiv zu arbeiten, brauche ich vor allem Ruhe. Aber ich bin nicht der einsame Denker, der mit rauchendem Kopf vor sich hin analysiert und Strategien ausheckt. Die Strategie und die Ideen rund ums LEZ entstehen im Team und wachsen im Austausch mit allen involvierten Personen. Häufig entwickeln sie sich aus der täglichen Arbeit.

Möglichst vielen Menschen einen Nutzen bringen

Mir war es schon immer wichtig, einen Beruf zu haben, in dem ich etwas gestalten und bewirken kann. Ich will mit meiner Arbeit möglichst vielen Menschen einen Nutzen bringen. Früher war ich unter anderem als Ingenieur in der Softwareentwicklung tätig. Auch im Software-Design steht am Anfang eine klare gemeinsame Vorstellung: Was muss eine neue Software leisten? Dann erreicht man das gewünschte Ergebnis über viele Zwischenziele. Jetzt ist das ähnlich: Das Zielbild ist klar und wir bewegen uns unter Einwirkung verschiedenster interner und externer Faktoren in die richtige Richtung – Schritt für Schritt. Aber: Im Projekt LEZ passiert alles in einem viel grösseren Massstab und am Schluss entsteht gebaute Realität.

Ein Grossprojekt mit verschiedensten Ebenen

Ob im internen Projektteam, mit der Politik, mit Planern oder Architekten: Als Leiter Strategieprojekte habe ich jeden Tag mit unterschiedlichen Leuten zu tun. Denn ein Projekt wie das LEZ kann man nicht allein stemmen. Alle haben ihre Ansprüche, Bedingungen und Vorstellungen – jede Perspektive ist wichtig und alle leisten ihren Beitrag. Wirklich ruhig wirds bei mir meist erst gegen Abend. Das hat auch damit zu tun, dass ein Grossteil meiner Zeit fremdbestimmt ist. Jeder Tag ist durch virtuelle und physische Sitzungen eng getaktet. Ein Grossprojekt wie das LEZ hat verschiedenste Ebenen, die ineinandergreifen. Auch wenn ich voll auf etwas fokussiert bin, läuft im Hinterkopf alles andere weiter. Es gibt Koordinationsthemen, politische Themen, Naturschutzthemen, Themen, die mit der Nachbarschaft zu tun haben. Und dazu kommen natürlich auch unsere bestehenden Anlagen. Weil das Projekt LEZ kontinuierlich wächst, stehe ich immer wieder mit neuen Playern an einem anderen Ort. Und sobald wir gemeinsam etwas erreicht oder erledigt haben, wächst das Projekt weiter. Alles verändert sich laufend im Entstehungsprozess.

Nachhaltigkeit und Ökologie bewegen die Menschen

Aber genau das macht meine Arbeit aus: Ich habe unglaublich viele spannende Themen auf dem Tisch und im Kopf. Meine Aufgabe ist es, all diese Themen und Anforderungen zu einem sinnvollen Ganzen zu vernetzen. Und dabei muss ich den Überblick behalten: Was gehört noch dazu, was kommt als nächstes, woran müssen wir noch denken? Es ist ein riesiges Privileg, ein Projekt in diesen Dimensionen aktiv mitzugestalten. Die Verbindung zwischen Abfall, Energie, Nachhaltigkeit und Naturschutz ist unheimlich sexy – die Leute interessieren sich dafür, Bekannte und Kollegen wollen mehr über das LEZ wissen. Mir sind Nachhaltigkeit und Ökologie auch persönlich wichtig. Ich fliege zum Beispiel aus Überzeugung nicht mehr.

«Wenn ich irgendwo einen freien Slot sehe, wird der gefüllt.»

Ruhe finden zuhause

Mein Tag wird normalerweise gegen 17 Uhr etwas «langsamer». Dann erledige ich, was dringend noch gemacht werden muss. Irgendwann gehe ich dann nach Hause und setze mich oft nach dem Abendessen nochmals hin. Das ist die Zeit, in der ich Dokumente am besten konzentriert lesen und mir Gedanken dazu machen kann.

Zeit freischaufeln, Zeitfenster füllen

Wenn ich etwas ändern könnte an meinem Job, würde ich zwei sitzungsfreie Stunden pro Tag fix im Kalender eintragen. Aber es läuft zurzeit so viel, dass das nicht realistisch ist. Manchmal bin ich schon versucht, abgesagte Termine einfach im Kalender stehen zu lassen, um etwas Zeit freizuschaufeln. Aber das mit der Zeit – oder besser mit der fehlenden Zeit – hat auch mit mir zu tun: Ich kann nicht nichts machen. Wenn ich irgendwo einen freien Slot sehe, wird der gefüllt. Und das nicht nur bei der Arbeit, sondern auch in meiner Freizeit. So bin ich zum Beispiel Präsident der Ortsbürger in meiner Wohngemeinde und Präsident der Betriebskommission des Forstbetriebs. Langweilig wirds mir definitiv nie.

Beim Velofahren den Kopf lüften

Abschalten und runterfahren kann ich am besten auf dem Velo. Da konzentriere ich mich voll auf die Strasse, auf die Natur, auf den Weg – das lüftet den Kopf richtig durch und die Arbeit ist weit weg. Im letzten Sommer sind meine Frau und ich mit dem Velo von zuhause aus bis auf die Insel Rügen gefahren. In meinem Alltag hat Bewegung zurzeit nur wenig Platz – ausser vielleicht am Wochenende. Immerhin kommen automatisch jeden Tag ein paar Meter zusammen, weil ich so oft von einem zum anderen Sitzungszimmer wechseln muss.

Wenn fürs Biken die Zeit fehlt oder das Wetter nicht stimmt, stehe ich als bekennender Geniesser leidenschaftlich gerne am Herd. Hier gibt es übrigens durchaus Parallelen zum Projektmanagement: Damit es allen schmeckt, müssen Vorbereitung, Einkauf und Zubereitung gut koordiniert sein und alles muss rechtzeitig schön angerichtet und warm auf den Tisch kommen.

«Die Verbindung zwischen Abfall, Energie, Nachhaltigkeit und Naturschutz ist unheimlich sexy.»

Grösstmöglicher Nutzen für das Limmattal

Als ich vor zehn Jahren zu Limeco kam, wussten wir, dass die Kehrichtverwertungs- und die Abwasserreinigungsanlage irgendwann um 2030 an ihr Lebensende kommen werden. Das war der Startschuss für das Projekt LEZ. Eins war uns von Anfang an klar: Wenn wir das machen, dann soll etwas Sinnvolles entstehen mit grösstmöglichem Nutzen für das Limmattal. Das Problem: Wir hatten keine Fläche mehr für einen Aus- oder Neubau. Es ging um unsere Zukunft und wir standen mit dem Rücken zur Wand oder besser gesagt zum Naturschutzgebiet. Deshalb war der Landkauf 2018 ein Meilenstein. Bis zum erfolgreichen Verhandlungsabschluss mit Coop war ich schon recht nervös. Denn ohne Land kein LEZ. Überhaupt gab es in dem Jahr gleich mehrere wichtige Weichenstellungen. Auch die Ausbauten für die Fernwärme waren eine Grundvoraussetzung. Denn wir können zwar ohne Kehrichtverwertungsanlage das Fernwärmenetz betreiben. Aber eine KVA können wir nicht betreiben, wenn wir kein Fernwärmenetz haben.

Handlungsspielraum für die nächste Generation

Bei einem Projekt mit so vielen Stakeholdern gehören Kompromisse automatisch dazu, aber die wesentlichen Ideen dürfen nicht verloren gehen. Sonst mache ich lieber eine Extraschlaufe und versuche, die Leute neu zu überzeugen und wieder auf die Reise mitzunehmen. Aufstehen, Sägemehl von den Schultern klopfen und weitermachen heisst die Devise. Mir ist wichtig, dass es auch am Ende des nächsten Lebenszyklus, den wir jetzt planen, noch Handlungsspielraum gibt. Ich will nicht, dass die nächste Generation irgendwann feststellen muss, dass es gar keine Möglichkeit gibt, diese Anlagen zu erweitern oder zu erneuern. Natürlich wäre es ideal, wenn dann alles auch genau so funktioniert, wie wir uns das heute vorstellen. Aber wir antizipieren über das Projekt hinaus – und wer weiss schon, was in den nächsten 40 Jahren genau passiert? Auch die nächste Generation wird noch ihre eigenen Herausforderungen haben.

Etwas Grosses mit Zukunft – energietechnisch und ökologisch

Was mich jeden Tag motiviert, ist der Rückhalt in der Bevölkerung. Das positive Feedback ist eine Bestätigung für die Arbeit, die wir alle hier im Team leisten. Wenn das Limmattaler Energiezentrum in zehn Jahren in Betrieb ist, muss niemand wissen, dass der Markus Bircher zwanzig Jahre dafür gearbeitet hat. Aber wer die Anlagen sieht, soll denken: Wow, die haben sich etwas überlegt. Wenn die Limmattaler nach den Ferien aus dem Gubrist fahren, ins Limmattal schauen und sagen: Schau, das LEZ – wir sind wieder daheim! Das wäre schön. Ich glaube, die Chance, dass sich die Menschen im Limmattal mit dem LEZ identifizieren, ist gross. Denn energietechnisch und ökologisch entsteht hier wirklich etwas Grosses mit Zukunft.

Interessen verbinden und Stakeholder zufriedenstellen

Ich würde mich selbst als kritischen Optimisten bezeichnen. Das heisst, ich warte nicht blauäugig darauf, dass mich das Glück findet. Vielmehr bin ich überzeugt, dass man auch selbst alles dafür tun muss, dass es gut kommt. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Zeiten, wo wir uns fragten: Geht es weiter oder war es das jetzt mit dem LEZ? Manchmal hing alles an einem seidenen Faden, an einer Entscheidung. Wir wussten: Jetzt müssen wir alles reinwerfen, was wir haben.

Auch politisch ist ein solches Generationenprojekt nicht immer ein Zuckerschlecken. Aber das liegt in der Natur der Sache: Ich kann absolut nachvollziehen, dass die Politik – insbesondere die Exekutive – Risiken im Kontext ihrer eigenen Rechnungen und Aufgaben bewertet. So müssen wir zwar viele Stakeholder zufriedenstellen, aber gleichzeitig entsteht auch etwas Mehrheitsfähiges. Ein Energiezentrum, das möglichst alle Interessen verbindet und verschiedensten Ansprüchen gerecht wird – und wir hoffen natürlich, dass auch Chancen erkannt werden.

Die nächsten Meilensteine im Projekt LEZ – und damit auch auf meinem Tagesplan – werden die Zusammenführung des Vorprojekts mit der Architektur, der Gestaltungsplan und der Realisierungskredit sein. Wenn alles rund läuft, werde ich die Inbetriebnahme des LEZ noch vor meiner Pensionierung miterleben. Auf diesen Tag freue ich mich.»