«Dass wir eine KVA betreiben und gleichzeitig die nächste Anlage mitplanen und realisieren können, ist eine einmalige Chance.»

2034 erreicht die Kehrichtverwertungsanlage von Limeco das Ende ihrer Lebensdauer. Im Rahmen des Projekts Limmattaler Energiezentrum LEZ ist die Planung der neuen Anlage in vollem Gang. Rebecca Rass, Mitglied der Geschäftsleitung und Leiterin des Bereichs Thermische Verwertung bei Limeco, über die Bedeutung des Neubaus, aktuelle und künftige Herausforderungen sowie ihren Umgang mit Abfall.

Rebecca Rass, Leiterin Thermische Verwertung bei Limeco: «Wir wissen, was super läuft, was nicht so gut funktioniert und was wir künftig anders planen würden.»

Was bedeutet die neue KVA für Ihre Arbeit und wie beeinflusst sie den Alltag in der Thermischen Verwertung bei Limeco?

Obwohl wir gerade erst den Architekturwettbewerb für LEZ abgeschlossen haben, beschäftigt uns die neue Anlage bereits sehr intensiv. So stellen sich beispielsweise für Betriebsleiter Marco Saxer verschiedenste Fragen: Was für einen Betrieb bauen wir auf, mit was für einer Turbine und mit welchem Kessel wollen wir planen? Und auch unser Abfallmanager Tobias Breu setzt sich intensiv mit dem Recyclinghof der Zukunft auseinander. Ein solches Projekt ist eine Chance, die nicht jede Generation bekommt: Wir betreiben eine Anlage und planen gleichzeitig eine neue, die so bald fertiggestellt sein soll, dass wir auch diese noch selbst betreiben können.

Wo liegen aktuell die Herausforderungen?

Eine der grössten Herausforderungen ist sicherlich, die notwendige Zeit für die neue KVA freizumachen. Viele unserer Know-how-Träger sind im Betrieb bereits voll ausgelastet. Daher ist es wichtig, richtig zu priorisieren, Unterstützung bereitzustellen und den Projekt-Set-up regelmässig den Bedürfnissen und Projektphasen anzupassen.

War dieses Know-how schon vorhanden oder müssen Sie für die Planung der neuen KVA neue Leute einstellen?

Teils, teils. Limeco betreibt diese Anlage schon seit vielen Jahren – wir wissen, was super läuft, was nicht so gut funktioniert und was wir künftig anders planen würden. Gleichzeitig ist die bestehende Anlage nicht der Stein der Weisen, sondern vieles hat sich weiterentwickelt und es gibt neue, vielversprechende Technologien. Hier müssen wir uns einen Überblick verschaffen und diese Technologien für uns bewerten. Das ist zwar spannend, aber ebenfalls sehr zeitintensiv. Um das zu schaffen, hat Limeco eine eigene Projektorganisation für LEZ aufgebaut, für die wir auch neue Kolleginnen und Kollegen eingestellt haben. Zusätzlich arbeiten wir mit professionellen Planern sehr eng zusammen und Marco Saxer sowie unser Projektleiter Matthias Felber sind an vielen Themen dran. Sie besuchen andere Anlagen, tauschen sich mit verschiedenen Betreibern aus, gehen an Veranstaltungen über künftige Herausforderungen für Kehrichtverwertungsanlagen usw. Kurz: Wir versuchen, überall möglichst viel Wissen abzuholen und in die Planung unserer neuen KVA einfliessen zu lassen.

Was wird denn mit der neuen Anlage besser werden – zum Beispiel ökologisch oder ökonomisch gesehen?

Ökologisch ist unsere bestehende Anlage schon sehr gut und wir halten alle Grenzwerte ein. Aber die Entwicklung geht natürlich weiter und wir werden uns mit der neuen KVA weiter verbessern. Bei der thermischen Verwertung ist es beispielsweise das Ziel, möglichst alle organischen Teile zu verbrennen. Der Grenzwert in der Schlacke liegt hier bei 2 %. Als Zielwert – ein Grenzwert ist es noch nicht – zeichnen sich 0,5 % ab. Wir übertreffen zwar die heutigen Anforderungen, aber in Zukunft könnte es mit der bestehenden Anlage schwierig werden, den neuen Zielwert zu erreichen.

Mit der Steigerung der Abfallmengen werden wir auch wirtschaftlicher arbeiten: Heute sind wir bei ca. 95’000 Tonnen Abfall pro Jahr, ab 2034 soll die Kapazität auf 160’000 Tonnen erhöht werden. Entsprechend wird die Kehrichtverwertung auf die Tonne umgerechnet günstiger. Das heisst, wir werden wirtschaftlicher arbeiten, mehr Regiowärme auskoppeln und somit unserer Vision näher kommen: Bis 2050 ist das gesamte Limmattal mit CO2-neutraler Energie versorgt.

«Nur weil unsere Anlage alt ist, heisst das nicht, dass wir schon am Ende sind. Im Gegenteil: Wir haben auch vor, für die nächsten Jahre noch einiges zu machen.»

Wie steht es mit technischen Verbesserungen?

Im Rahmen von LEZ und dem KVA-Neubau befassen wir uns mit der Zukunft. Wir versuchen abzuschätzen und vorherzusehen, was in ca. zehn Jahren alles möglich sein wird und wie wir das in der Planung berücksichtigen können. Ein Beispiel ist BomE – oder «Betrieb ohne manuellen Eingriff». BomE ist schweizweit ein Pilotprojekt für KVA, das von Limeco getrieben wird. Heute arbeiten wir Schicht und die Anlage ist 24/7 an 365 Tagen im Jahr besetzt. Doch eine Work-Life-Balance wird für viele Menschen immer wichtiger – sie wollen an Wochenenden und Abenden Zeit für Familie, Freunde und Hobbys haben. Ziel des BomE-Betriebs ist es, die Anlage in der Nacht, an Wochenenden und Feiertagen automatisiert zu betreiben. Nur bei Störungen müsste ein Pikettdienst ausrücken. Das würde den Job der Betriebskolleginnen und -kollegen wesentlich angenehmer machen.

Wie haben sich die Anforderungen an eine KVA generell verändert, seit die bestehende Anlage in Dietikon in Betrieb genommen wurde?

Über die Jahre hat sich in verschiedensten Bereichen viel verbessert. Ein Beispiel ist die Arbeitssicherheit. Wobei Limeco sicherheitstechnisch schon früh sehr viel investiert hat. Auch energetisch haben sich die Anforderungen verändert. Mit der Zeit ging es nicht mehr darum, in der KVA einfach Abfall zu verbrennen, damit er weg ist. Was heute in der KVA landet, wird zum Energielieferanten: Wir wollen möglichst viel Energie, die im Abfall steckt, nutzen. Dazu erzeugen wir Strom und Fernwärme. Gerade letztere ist von enormer Bedeutung, da man mit Fernwärme wesentlich mehr Energie als bei reiner Stromerzeugung nutzt und somit die energetische Nettoeffizienz maximieren kann.

Was bedeutet das konkret?

Die Verbrennung von Abfall erzeugt Wärme, mit der wir Wasser erwärmen, bis es verdampft. Der Dampf strömt durch eine Dampfturbine, die einen Generator antreibt und Strom erzeugt. Dabei kann man allerdings nie die gesamte Energie nutzen, es bleibt immer noch Restwärme übrig. Diese Wärme nutzen wir für die Fernwärme. Somit können wir mehr Energie aus dem Abfall nutzen. Für Hauseigentümer und -eigentümerinnen, die an das Fernwärmenetze angeschlossen sind, bedeutet das, dass sie mit wenig oder null Unterhalt- und Wartungsaufwand CO2-neutrale Wärme haben.

«Eine KVA unserer Grössenordnung stösst ungefähr so viel CO2 aus wie 20 bis 30 km Autobahn.»

Die heutige Anlage bringt noch beeindruckende Leistungen: 2024 verzeichnete Limeco eine rekordhohe Wärmeauskopplung für das Fernwärmenetz und Limeco Regiowärme hat rund 25’000 Tonnen CO2 eingespart …

Absolut, das funktioniert aber auch nur, weil Limeco konsequent nachhaltig denkt, Projekte proaktiv angeht und die KVA kontinuierlich weiter optimiert hat. Zudem ist unser Fernwärmeteam sehr aktiv und baut die Fernwärme erfolgreich aus. So können wir mehr und mehr Energie wirklich nutzen. Nur weil unsere Anlage alt ist, heisst das nicht, dass wir schon am Ende sind. Im Gegenteil: Wir haben auch vor, für die nächsten Jahre noch einiges zu machen. Das ist nicht ganz einfach, denn jede Investition muss wirtschaftlich sinnvoll sein und sich innerhalb der nächsten zehn Jahre auch rentieren. Klar ist: Wir müssen alles in Schuss halten und die bestehende Anlage wird bis am Schluss auf Hochtouren arbeiten. Bei der neuen Anlage werden uns dann Kinderkrankheiten auf Trab halten wird, bis alles eingespielt ist und optimal läuft.

Was ist mit der neuen Anlage betreffend CO2-Abscheidung und -Speicherung konkret geplant?

Die neue Anlage soll CC-ready werden – CC steht für «Carbon Capturing», also für die Abscheidung von CO2. Das heisst, wir sehen in der Planung den nötigen Platz vor und legen die Anlage auch technisch bereits entsprechend aus. Gleichzeitig prüfen wir in den nächsten Jahren verschiedenste Optionen. Im Moment gibt es in der Schweiz mehrere Projekte, die sich mit Carbon Capturing befassen. Das CO2-Kompetenzzentrum der KVA Linth leistet sehr viel Vorarbeit für die ganze Branche. Manche Technologien sind schon am Markt, aber bei Verbrennungsanlagen noch nicht oder nur begrenzt eingesetzt worden. Andere Technologien kommen gerade neu auf den Markt, aber es fehlen Erfahrungen. Wir werden all diese Entwicklungen genau beobachten und die Erkenntnisse dann in unsere eigene Detailplanung einfliessen lassen.

Gehen Sie durch Ihre Funktion oder durch Ihren Beruf privat anders mit Abfall um? Haben Sie eine andere Sicht auf das Thema?

Ich habe durch meinen Beruf zwar viel Wissen, das Aussenstehende nicht haben, aber ich gehe nicht aufgrund meiner Funktion anders mit Abfall um. Ich habe schon immer gerne aus Ressourcen das Maximum rausgeholt. Dazu gehört auch das richtige Trennen von Abfall und – so weit in der heutigen Gesellschaft möglich – auch die Abfallvermeidung. Wer mit der Branche nichts zu tun hat, weiss auch weniger über Stoffströme und Energieströme. Das ist ganz normal: Man stellt den Abfallsack vor die Tür oder schmeisst ihn in einen Container – und dann ist er weg. Allerdings habe ich schon das Gefühl, dass das Thema Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit an Bedeutung gewinnt. Es freut mich immer sehr, wenn interessierte Menschen bei Limeco eine Anlagenführung machen und dann fasziniert nach Hause gehen – mit neuen Ideen, was sie zu einer gesunden Kreislaufwirtschaft beitragen können. Viele sind nach einer Führung auch richtig stolz, dass unsere KVA hier in Dietikon steht.

Weshalb ist es Ihnen wichtig, dass die Bevölkerung mehr über die thermische Verwertung weiss?

Ich finde es gut, wenn die Menschen wissen, dass Limeco nicht einfach Abfall verbrennt, sondern dass wir hier in Dietikon nachhaltig Strom und Wärme produzieren und unsere Partner aus der Schlacke wertvolle Rohstoffe – Eisen, Aluminium, Kupfer oder sogar Gold – holen. Zudem ist kaum bekannt, dass die gesetzlichen Grenzwerte für die Kehrichtverwertung strenger sind als in vielen anderen Industriezweigen. Als Vergleich: Eine KVA unserer Grössenordnung stösst ungefähr so viele Emissionen aus wie 20 bis 30 km Autobahn. Das zeigt: Heute wird Abfall sauber verwertet, ohne die Lebensqualität der Bevölkerung zu beeinträchtigen. Und unsere neue Anlage wird noch sauberer arbeiten.

Wird Limeco mit der neuen KVA schweizweit den Standard setzen? Oder laufen aktuell auch andere Neubauprojekte?

Die Schweiz wollte als eines der ersten Länder keine Deponien mehr, und so sind viele KVA etwa zeitgleich entstanden. Entsprechend ist es tatsächlich so, dass viele Betreiber zurzeit neue Anlagen planen, bauen und in Betrieb nehmen. Limeco reiht sich eher am Ende dieser Erneuerungsphase ein. Das heisst, wir werden tendenziell den neuesten Standard haben. Aber sowohl wir als auch andere Anlagen teilen Erkenntnisse offen miteinander, denn die Vorteile einer nachhaltigen Abfallverwertung gehen über Stadt- und Kantonsgrenzen hinaus. Wir wollen, dass die gesamte Branche – und damit schlussendlich die ganze Schweiz – nachhaltiger wird.

Was sind die nächsten Meilensteine für Sie und Ihr Team?

Wir werden in den nächsten Jahren viele Herausforderungen anpacken. Wirklich spannend wird es, wenn die Bagger dann auffahren. Ein grosser Moment, nachdem wir im Team jahrelang alles bis ins Detail geplant haben, uns in unzähligen Meetings die Haare gerauft, überlegt und optimiert haben. Wir werden die Anlage übernehmen, mit dem ganzen Team einziehen und uns dann wahrscheinlich schon wieder Gedanken machen, was wir mit welchen neuen Technologien alles verbessern können.
Das ist typisch Limeco: Wir sind ein zukunftsorientiertes und nachhaltiges Unternehmen – alles entwickelt sich, alle bringen sich ein, um die Anlagen laufend zu optimieren.